Ein abteilungsübergreifendes Digitalisierungsprojekt in einem großen Finanzunternehmen ist eine Mammut-Aufgabe. Unzählige Prozesse müssen bedacht, Mitarbeiter überzeugt und Budgets vorausschauend geplant werden. Dennoch führt auf kurz oder lang kein Weg daran vorbei, will man das Unternehmen zukunftsfähig aufstellen. Oftmals ist es von Vorteil, nicht alle Geschäftsfelder gleichzeitig zu bearbeiten, sondern Prozesse in definierten Einheiten schrittweise zu modernisieren. Speziell bei der Digitalisierung im Bankensektor gibt es Besonderheiten, auf die ein Augenmerk gerichtet werden sollte. Wir zeigen am Beispiel des Corporate-Kredit-Prozesses, welche fünf Erfolgsfaktoren Sie bei der Umsetzung Ihres Digitalisierungsprojektes beachten sollten.
Der digitale Wandel ist eines der Kernthemen aktueller politischer und wirtschaftlicher Debatten, kaum ein Kongress verzichtet auf das Schlagwort Digitalisierung im Slogan. Einhelliger Tenor: Wer die Augen vor der vierten industriellen Revolution verschließt, wird überholt und abgehängt. Im Finanzsektor, speziell im Kreditgeschäft, ist die Tragweite eines derart strukturellen Umbruchs groß, da die Masse der zu berücksichtigenden Daten und Prozesse immens ist. Diese Daten und deren Verknüpfung haben einen entscheidenden Einfluss auf den Verlauf von Entscheidungen – Fehler oder gar einen Datenverlust verzeiht der Kunde nicht und verlorenes Vertrauen ist schwer zurück zu gewinnen. Nicht zuletzt deshalb werden Digitalisierungsprojekte in dieser Branche verhalten angegangen, hinzu kommen schwer kalkulierbare Investitionskosten und Vorbehalte gegenüber computergestützten Entscheidungen in diesem komplexen Umfeld.
Bevor Sie loslegen: Wählen Sie den richtigen Startpunkt
Essenziell wichtig ist, mit einer klaren Strategie vorzugehen und den richtigen Startpunkt zu wählen. Die Identifikation von Geschäftsfeldern mit hohem Effizienzpotenzial ist der erste grundlegende Schritt, um von Beginn an relevante, messbare Ergebnisse zu erzielen und bei den Fachverantwortlichen die nötige Akzeptanz für die nächsten Schritte zu erreichen.
Im Banking-Bereich bietet das Aktivgeschäft ein hohes und häufig ungenutztes Automatisierungspotenzial. Nach der Erfahrung aus vielen realisierten Projekten ist das Kreditgeschäft, speziell das Firmenkreditgeschäft oftmals noch mit sehr vielen manuellen Prozessen behaftet. Die vielschichtigen Corporate-Kreditfinanzierungen können aufgrund der zahlreichen unterschiedlichen Parameter schwerlich in einer digitalen Insellösung abgebildet werden und wurden daher bei punktuellen Modernisierungsmaßnahmen häufig übergangen. Das Grundproblem: die meisten der relevanten Daten stehen nicht in digitaler Form zur Verfügung. Durch den Einsatz einer kann eine verlässliche Datengrundlage geschaffen werden, auf deren Basis eine koordinierte und schrittweise Digitalisierung des Firmenkreditgeschäfts realisiert werden kann.
Im Folgenden lernen Sie fünf zentrale Erfolgsfaktoren kennen, die Sie in Ihrem Digitalisierungsprojekt beachten sollten.
1. Manuelle Kredit-entscheidungsprozesse minimieren
Prozessanalysen haben gezeigt, dass in traditionellen gewerblichen Kreditentscheidungsprozessen bis zu 30 Prozent der Arbeitszeit für manuelle Datenübertragungen und Datenaufbereitungen aufgewendet werden. Die komplexen Strukturen des Corporate-Kreditgeschäfts bringen viele Systemübergänge mit sich, für die es häufig keine IT-Schnittstellen gibt und so Bearbeitungsschritte entweder auf Papier oder über MS Office-Dokumente erledigt werden. So ist es unvermeidlich, dass entscheidungsrelevante Informationen aus verschiedenen Bestandssystemen oder vorangegangenen Arbeitsschritten, in Abhängigkeit von Anlass oder Adressat, immer wieder aufs Neue gesucht, aufbereitet und weiterverarbeitet werden.
Mit Hilfe einer digitalen Kreditvorlage können die in der Bearbeitungsstrecke benötigten Bestandteile einer Kreditdokumentation mit Daten aus Bestandssystemen oder früheren Bearbeitungsvorgängen versorgt werden. Ein besonderer Mehrwert liegt darin, dass so auch Prozessdaten, die bisher gar nicht, oder nur unstrukturiert lokal in Office-Dokumenten gespeichert wurden, gebündelt und effizient nutzbar gemacht werden können. Die im Lebenszyklus einer Kreditbeziehung gesammelten Daten und Erkenntnisse aus der Bearbeitung von Kreditanträgen, Vermögensobjekten, Sicherheiten, Analysen, Limiten, Covenants und Kreditentscheidungen stehen dann für alle Arten von Folgeaktivitäten zur Verfügung. Maßgeblich für die Tragweite dieses Effektes ist unter anderem das Ausmaß, in dem Bestandssysteme angebunden werden.
2. Systemcheck statt E-Mails
Bei der Vergabe von Krediten liegt beispielsweise eine bedeutende Prozess-Schnittstelle zwischen den Kundenbetreuern und den Spezialisten, die für die Analyse und Aufbereitung der Daten zuständig sind – sprich zwischen Markt und Marktfolge. Die unterschiedlichen Blickwinkel der Mitarbeiter machen einen regen Austausch bezüglich benötigter Informationen, Statusmeldungen und Kundenwünschen erforderlich. In der Folge steigen Kommunikations- wie Zeitaufwand und Vorgänge ruhen, weil man auf Nachlieferungen wartet. Im schlimmsten Fall wird der Kunde Teil einer iterativen Informationsbeschaffung.
Ein hohes internes E-Mail-Aufkommen ist oft ein Indikator dafür, wo sich der Einsatz von regelbasierten Systemchecks durch Business Process Management und Kognitiv-Technologie lohnen kann. Egal ob vom Kunden selbst eingereicht, vom Kundenbetreuer erfasst oder systemseitig getriggert, können die entsprechenden Sachverhalte vor einer Weiterleitung an Bearbeitungseinheiten regelbasiert auf Plausibilität und Vollständigkeit geprüft werden.
Ein vernetztes System kann auch Aufgaben übernehmen, die über das das reine Erkennen der Bearbeitungsreife hinausgehen und beispielsweise fehlende Daten beim jeweiligen Ansprechpartner direkt anfordern. Überflüssiger E-Mail-Verkehr mit der Beteiligung mehrerer Parteien wird obsolet.
3. Kreditprozesse stufenweise automatisieren
Die Prozesse und Zusammenhänge des Kreditgeschäfts sind komplex und Informationen häufig auf unterschiedliche Subsysteme verteilt. Nicht zuletzt aus Komplexitätsgründen scheitern viele Digitalisierungsprojekte im Banking-Bereich oder werden erst gar nicht in Angriff genommen. Dabei ist es im ersten Schritt nicht erforderlich, den Gesamtprozess digital abzubilden, vielmehr sollte der Fokus auf bestimmten Teilen des Kreditprozesses liegen, die schrittweise digitalisiert und automatisiert werden können.
Grundlegend muss dazu der gesamte Prozess in seine Einzelteile zerlegt und das jeweilige Potenzial erfasst werden. Diese Teile können im Anschluss zielgerichtet umgesetzt, eingesetzt und im Baukastenprinzip kombiniert werden. Spätere Ergänzungen oder Erweiterungen, bis hin zur End-to-End Lösung, sind jederzeit möglich.
Auf diese Weise können schnelle Verbesserungen erzielt, Mitarbeiter sukzessive geschult und Erkenntnisse für den nächsten Digitalisierungsabschnitt aus dem laufenden Projekt gezogen werden.
4. Die Erwartungen der Kunden erfüllen
Es ist völlig selbstverständlich geworden, in vielen Lebensbereichen mit digitalen Prozessen zu interagieren. Sei es beim Einkauf über das Internet, bei der Buchung eines Urlaubs oder bei der Kommunikation mit Freunden und Familie. Entsprechend steigen die Erwartungen der Kunden hinsichtlich der digitalen Erlebbarkeit und der Transparenz von Dienstleistungen kontinuierlich.
Es ist naheliegend, dass mit analogen Prozessen diesen Kundenbedürfnissen im Kreditwesen schwerlich Rechnung getragen werden kann, da die Aktualität der Daten online nicht gewährleistet ist. Sind die Abläufe jedoch digitalisiert, ergeben sich auch gänzlich neue Möglichkeiten im Kundenservice der Finanzbranche. Der Kunde kann jetzt bei seiner Digital Journey über ein Kundenportal begleitet werden, Funktionen des Kreditbearbeitungssystems können ihm so auch online bereitgestellt werden. Er hat zu jeder Zeit Einsicht in den Stand des Bearbeitungsprozesses, kann aktiv Einfluss nehmen und wird in den Bearbeitungsvorgang mit einbezogen.
5. Der Bankenaufsicht Rechnung tragen
Revisionssicherheit der aufsichstrelevanten Dokumente ist eines der Kernthemen des gesamten Bankensektors. Durch die Digitalisierung der Entscheidungsprozesse wird die vollständige, nachvollziehbare und eindeutige Dokumentation aller Abläufe sichergestellt – und das garantiert fälschungssicher. Durch ein umfassendes Berechtigungskonzept (abgestimmt auf Stellen- oder Funktionsbeschreibung) kann genau festgelegt werden, wer bestimmte Daten lesen, ändern, löschen oder versenden darf.
Für die Revision ist jederzeit ersichtlich, wer welches Dokument zu welchem Zeitpunkt bearbeitet hat. Das erleichtert die bisher zum Teil mühevolle Recherchearbeit deutlich. Häufige Nachfragen zur Klärung des Sachverhaltes gehören damit der Vergangenheit an.
Fazit
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die essenzielle Grundlage eines jeden Digitalisierungsprojektes die Schaffung einer verlässlichen Datenbasis darstellt. So können die Weichen für alle weiteren Prozessdigitalisierungen gestellt werden. Um bei der Umsetzung möglichst schnell spürbare Verbesserungen zu erzielen und eine hohe Akzeptanz zu erreichen, sollten Bereiche mit hohem Effizienz-Potenzial identifiziert und bei der Umsetzung fokussiert werden. Setzen Sie schrittweise einzelne Prozesse um und lernen Sie aus den Erfahrungen, anstatt zu viel Zeit mit der theoretischen Planung einer ganzheitlichen Lösung zu verlieren. Ihre Kunden sind bereits digital und erwarten dasselbe auch von Ihnen.
Bildquellen: Teaser: chombosan - 872707982 - iStock, Infografik: knowis AG