Multichannel-, Omnichannel-Banking, Digitalisierung der Bank-Prozesse, Unterstützung der Kunden bei der Digital Customer Journey – all das sind Schlagwörter, die seit wenigen Jahren zunehmend in der Finanzbranche thematisiert werden. Doch wo geht die Reise hin in der Finanzwelt? Darüber wird in der Branche viel diskutiert, sicher ist zum jetzigen Zeitpunkt eines: letztlich wird der Kunde entscheiden, in welcher Form er sich am besten betreut fühlt und wie er in Zukunft seine Finanzangelegenheiten regeln wird.
In vielen Dienstleistungsbereichen ist festzustellen, dass sich die Ansprüche und Gewohnheiten der Konsumenten grundlegend verändern. Das Internet ist allgegenwärtig und hat Einzug in nahezu alle Lebensbereiche erhalten. Menschen, die ab der Jahrtausendwende geboren sind, die Millennials, kennen eine Welt ohne Internet überhaupt nicht mehr. Internetverfügbarkeit ist so selbstverständlich, wie Strom aus der Steckdose oder Wasser aus dem Wasserhahn kommt. Aber auch die früheren Generationen, die so genannten Digital-Immigrants, genießen den Luxus, zu jeder Zeit von jedem Ort auf Informationen und Dienstleistungen zugreifen zu können und machen zunehmend davon Gebrauch – im privaten wie im geschäftlichen Umfeld. Online-Shopping nach Feierabend auf der Couch, den Kontostand beim Frühstück via Mobile-Banking abrufen oder in der S-Bahn auf dem Weg zur Arbeit Dienstleister über Bewertungsportale zu vergleichen ist Alltag geworden. Nahezu jeder ist Online, mindestens um sich zu informieren oder zu kommunizieren. Was bedeutet diese Entwicklung für den Banking-Bereich?
Je komplexer das Finanzprodukt, desto mehr setzt der Kunde auf persönliche Betreuung
Eine gängige Einschätzung in der Finanzbranche ist es, dass umfängliche Finanzdienstleistungen, wie beispielsweise eine Baufinanzierung, zu komplex seien, um sie online abzuwickeln. Daher werde bei solchen Finanzprodukten auch langfristig der Bedarf für eine Offline-Betreuung vorhanden sein. Studien, wie die repräsentative ROPO-Studie für Bankprodukte in Deutschland von Postbank, GfK und Google aus dem Jahre 2017, scheinen dies auch zu bestätigen. Lediglich 3 % der Bausparverträge und 12 % der Hypothekendarlehen würden demnach online abgeschlossen. Im Vergleich: 42 % der Girokonten und Kreditkarten sind laut der Studie komplett über das Internet beantragt worden. Daraus könnte man schließen: Die Offline-Betreuung hat in den erstgenannten Geschäftsfeldern einen überwältigenden Stellenwert, Digitalisierungsbemühungen können demnach hintenangestellt werden. Oder mangelt es einfach nur an attraktiven Angeboten und die Banken verschenken hier wertvolles Potenzial?
Die Informationskultur verlagert sich auch im Finanzsektor ins Internet
Ebenfalls ein Ergebnis der ROPO-Studie: Vor dem Abschluss eines Bausparvertrags bei einem Bankberater vor Ort haben sich 82 % der Kunden online informiert, 76 % der Hypothekendarlehen ging eine Online-Recherche voraus. Etwa 30 % dieser Online-Recherchen erfolgten von einem Smartphone. Diese Zahlen scheinen auf den ersten Blick primär für das Marketing des Finanzinstitutes interessant; online Aufmerksamkeit schaffen und das Produkt ansprechend präsentieren, anschließend offline verkaufen. Bestenfalls alles mobil und responsive.
Diese Entwicklung kommt nicht ganz überraschend, so entwickelte sich schon vor einigen Jahren das klassische Multichannel-Banking: Banken haben angefangen, dem Kunden ihre Services über verschiedene Zugangspunkte zur Verfügung zu stellen, beispielsweise über eine Online-Plattform für den Desktop-PC, eine App für das Smartphone oder einen Kunden-Chat. So sollte dem wachsenden Informationsbedarf über das Internet Rechnung getragen und möglichst schnell die junge Zielgruppe erreicht werden, bevor die Konkurrenz die Digital-Natives für sich gewinnen konnte. Neue Abteilungen entstanden, die sich ausschließlich um das Internet-Geschäft kümmerten. Sie entwickelten individuelle Lösungen für die weniger komplexen Dienstleistungen im Banking-Bereich, wie Zahlungsverkehr oder den Wertpapierhandel – oft basierend auf technologischen Insellösungen.
Die Offline-Kundschaft wurde in diese Überlegungen häufig nicht mit einbezogen und weiter in anderen Systemen gepflegt.
Der Kunde hat eine digitale Erwartungshaltung
Was aus den Zahlen der ROPO-Studie aber hervorgeht: Ein sehr großer Teil der Offline-Kunden ist trotzdem online unterwegs, um sich zu informieren oder um andere Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Aus dieser Erfahrung folgt auch eine digitale Erwartungshaltung. Letztlich möchten sie zwar das persönliche Vertrauensverhältnis beim Abschluss einer für sie tiefgreifenden finanziellen Entscheidung, weshalb die persönliche Betreuung in diesem Bereich noch lange eine wichtige Rolle spielen wird. Aber sie erwarten auch, aufgrund der Erfahrung aus anderen Branchen, transparente und flexible Prozesse, schnelle Reaktionszeiten und einen kanalübergreifenden Informationsaustausch. Sprich: Der Kunde möchte in den Prozess eingebunden werden und nicht, womöglich nach unbekannter Dauer, vor vollendete Tatsachen gestellt werden.
Klassisches Beispiel: Wenn ein Konsument ein Produkt bestellt, egal ob über den lokalen Einzelhandel, telefonisch oder über das Internet, ist er es gewohnt, online nachschauen zu können, wann sein Paket geliefert wird, wie der aktuelle Bearbeitungsstatus ist und wo sich sein Paket gerade befindet. Am Tag bevor die Sendung eintrifft wird er per E-Mail oder App benachrichtigt, inklusive des Zeitfensters der Zustellung. Sollte er in diesem Zeitraum nicht zu Hause sein, kann er jetzt noch die Lieferadresse ändern. Der vor wenigen Jahren noch analoge Versandprozess ist heute komplett digital, transparent und flexibel. Der Datenaustausch funktioniert dabei über die Grenzen der einzelnen Dienstleister und Geschäftsprozesse hinweg, sowohl der Händler, das Distributionszentrum als auch der Versanddienstleister werden einbezogen.
Dienstleistung bedeutet heute den Kunden einzubeziehen
Aufgrund dieser alltäglichen Erfahrungen hat sich der Anspruch an eine Dienstleistung aus Kundensicht stark verändert. Auch wenn eine Finanzierungsangelegenheit bevorzugt beim Kundenberater vor Ort abgeschlossen wird , möchte der Kunde weitere benötigte Dokumente nicht per Post verschicken müssen, sondern sie über ein Online-Formular hochladen können. Den aktuellen Status seines Antrags will er online einsehen können und erwartet eine automatisierte Benachrichtigung, wenn sich ein für ihn wichtiger Status ändert. Hat ein Unternehmer mehrere Kredit-Engagements bei demselben Institut, beispielsweise privat und geschäftlich, erwartet er, dass die Informationen aus allen Engagements in die Kreditentscheidung einfließen, ohne dass er alle Dokumente ein weiteres Mal einreichen muss.
Kurz gesagt, er möchte auf seiner Customer Journey, also seinem Weg vom Interessenten zum Kunden bis hin zur Bestandskundenbetreuung, bestmöglich begleitet werden. Nutzererfahrung, Kundenfreundlichkeit und Transparenz sind in diesem Szenario die wichtigsten Verkaufsargumente geworden, bei vielen Kunden noch vor dem niedrigsten Preis.
Von Multichannel-Banking zu Omnichannel-Banking
Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, bedarf es der Evolution vom abgekapselten Multichannel, hin zum verknüpften kanalübergreifenden Omnichannel. Der Kunde erwartet die Konsistenz seiner Daten über alle Kanäle, egal ob er diese online bearbeitet, im Kunden-Chat angibt oder mit dem Kundenberater vor Ort bespricht. Die wichtigste Grundlage ist dabei: alle Daten müssen in digitaler Form zur Verfügung stehen und zentral miteinander verknüpft sein.
Der Vorteil beruht letztlich auf Gegenseitigkeit, denn das Finanzinstitut weiß im Gegenzug immer genau, an welchem Punkt seiner Customer Journey der Kunde steht und welcher Service eine zielführende Lösung darstellt.
Viele Fintechs stellen sich bereits bei der Planung ihres Geschäftsmodells auf die neuen Ansprüche der Kunden ein und haben sich auf bestimmte Geschäftsfelder im Digitalen-Banking spezialisiert. Die traditionellen Banken haben dagegen noch großen Nachholbedarf eine Digitalisierung über alle Geschäftsprozesse hinweg umzusetzen, um ein kanalübergreifendes Nutzererlebnis zu bieten. Diese Hausaufgaben sollten schnell angegangen werden, sonst wird das prophezeite Bankensterben aus dem dystropischen „Bankenreport 2030“ der Strategieberatung Oliver Wyman früher oder später seine Erfüllung finden.
Fazit
Die Ansprüche der Kunden gegenüber Dienstleistungen im Finanzsektor haben sich in den letzten Jahren gravierend gewandelt. Durch die zunehmende Digitalisierung in allen Lebensbereichen ist auch eine neue Erwartungshaltung an die Finanzdienstleister entstanden, die mit einer analogen Datenhaltung nicht zu erfüllen ist. Obwohl komplexe Finanzdienstleistungen immer noch vorrangig bei einem Kundenberater vor Ort abgeschlossen werden, erwartet der Kunde auch in diesem Geschäftsbereich Transparenz in allen Prozessschritten und die Möglichkeit der Einflussnahme.
Eine Begleitung des Kunden während der kompletten Customer Journey bedarf einer konsistenten Datenhaltung über alle Kanalgrenzen hinweg. Sowohl die Geschäfts- als auch die Prozesslogik müssen digital abgebildet und intelligent verknüpft werden, um für den Kunden ein umfassendes Omnichannel-Banking abbilden zu können. Wird dies konsequent umgesetzt, ergeben sich auch zusätzliche Service-Möglichkeiten für die Dienstleister und ein wirksames Instrument zur nachhaltigen Kundenbindung.
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