Digitale Transformation, Niedrigzinsumfeld und zunehmende Regulatorik stellen die traditionellen Banken vor große Herausforderungen. Wer sich weiterhin nachhaltig am Markt behaupten will, muss ein klares Geschäftsmodell verfolgen. Was Banken dabei vom angeschlagenen Warenhauskonzern Karstadt lernen sollten.
Sie waren der Stolz des deutschen Einzelhandels und standen sinnbildlich für das deutsche Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit: die Warenhäuser von Karstadt und Kaufhof. Eine Großstadt war keine echte Großstadt, wenn im Zentrum nicht mindestens eines der beiden Häuser beheimatet war. Das Warenhaus versprach ein umfassendes Warenangebot unter nur einem Dach. An einem einzigen Ort gab es Dessous und Kochtöpfe, Spielzeug und Koffer, Schmuck und Kurzwaren.
Heute ist das Warenhaus in der Krise – und das schon seit vielen Jahren. Vordergründig waren es das Internet und die Digitalisierung, die dem Shopping-Vergnügen in teurer Innenstadtlage den Garaus gemacht haben. Wer will sich schon bei Wind und Wetter in die Stadt begeben, wo doch Parkraum knapp und der ÖPNV meist unattraktiv ist? Hier zeigen sich bereits offensichtliche Parallelen zur aktuellen Situation der traditionellen Banken.
Die Filiale – ein Auslaufmodell?
Die Kreditinstitute sehen ihre klassische Bankfiliale bedrängt durch Internet-Banken und neuerdings durch innovative FinTech-Startups. Die Kunden erledigen nicht nur ihre täglichen Bankgeschäfte mittlerweile wie selbstverständlich online oder sogar mobil, auch Produktabschlüsse erfolgen immer öfter im Rahmen einer Online-Selbstberatung. Laut der Bitkom-Studie 'Digital Banking' von Mai 2018 setzen mittlerweile drei von vier Internetnutzern auf Online-Banking. Den Weg in die Filiale vor Ort finden dagegen immer weniger Kunden – und wenn, dann sind es eher die vermeintlich unattraktiven Kundengruppen, deren Bedürfnisse sich hauptsächlich auf Ein- und Auszahlungen richten.
Das alles bereitet den Banken bereits genug Sorgen, denn die Filialen sind in der Regel das wesentliche Differenzierungsmerkmal im hart geführten Wettbewerb gegen die digitale Konkurrenz um die attraktiven Kundengruppen mit großem Potenzial für umfangreiche Produktabschlüsse. Zwar schwören die Filialbanken auf die Vorzüge ihrer persönlichen Beratung vor Ort, doch die Realität sieht längst anders aus. Wenn ein Produkt nur einfach genug gestaltet ist und dann online niederschwellig präsentiert und vielleicht sogar mit kurzen Video-Tutorials erklärt wird, verzichten immer mehr Kunden auf den vermeintlichen Mehrwert eines Bank-Beraters.
Hier wiederholt sich derzeit das, was die großen Warenhäuser bereits in der Vergangenheit erleben mussten. Auch sie hatten sich lange der Illusion hingegeben, die Kunden wollten Waren unbedingt vor dem Kauf sehen und anfassen können und dazu noch eine persönliche Beratung haben. Das Ende vom Lied ist bekannt: Beim Online-Shopping ist Ausprobieren mit kostenloser Retoure meist problemlos möglich und die Beratung durch einen Verkäufer wird ersetzt durch Online-Rezensionen und Ratgeber-Websites.
Im Handel schon lange spürbar: Mittelmaß ist nicht mehr gefragt
Das vielleicht noch viel größere Problem allerdings droht den Banken nicht aus den Weiten des Internets, sondern aus dem eigenen Haus. Und auch hier dienen die Warenhaus-Konzerne den Kreditinstituten als Blaupause – man muss es nur sehen wollen. Es geht um die Ausrichtung des eigenen Geschäftsmodells auf die sich verändernden Kundenwünsche. Denn ein wesentlicher Sargnagel für Karstadt und Co. ist der fehlende Fokus auf die relative Stärke im Vergleich mit der Konkurrenz.
Denn Karstadt hat sich in der Vergangenheit stets als Vollsortimenter im mittleren Preissegment positioniert. Vom Hosenknopf bis zum High-End-Fernseher konnte man alles direkt in der Innenstadt kaufen. Allerdings wurde dieses Modell in den letzten Jahren stark in die Zange genommen: von Billig-Anbietern wie TK-Maxx, Primark oder Tedi auf der einen Seite und Premium-Flagstores exklusiver Markenanbieter wie Apple oder Adidas auf der anderen.
Dahinter stecken zwei anhaltende Trends in der Gesellschaft. Für einfache Waren sind die Kunden kaum noch bereit, mehr als nötig zu bezahlen. Die 'Geiz-ist-geil'-Mentalität wirkt hier bis heute nach und treibt die Kunden für solche Standardwaren in Konsumhallen wie TK-Maxx, die durch spartanische Ausstattung und unterdurchschnittlich bezahlte Arbeitskräfte zum Preisführer geworden sind und die Preise von Karstadt daher deutlich unterbieten können.
Wenn Kunden allerdings bereit sind, viel Geld auszugeben, verlangen sie mittlerweile nach Qualität und Exklusivität. Flagship-Stores wie die von Apple oder einigen Marken-Bekleidungs-Labels versprechen ein ansprechendes Shopping-Erlebnis mit gut geschultem Personal, einladendem und offenem Ambiente und mehr. Gegen diese Qualitätsführer wirken die Warenhäuser wie muffige Amtsstuben.
Hier schließt sich der Kreis zur aktuellen Lage der klassischen Banken: auch sie sind in der Regel als Vollsortimenter am Markt aktiv und bieten mittelmäßige Produkte im mittleren Preissegment an. Das bleibt auch ihren Kunden nicht verborgen, weshalb sich die Banken warm anziehen müssen. Denn auch in der Bankenbranche wird es in der Mitte auf Dauer keinen Platz mehr geben.
Preis oder Qualität – Auch im Banking muss die Strategie klar ausgerichtet sein
Das Beispiel des Einzelhandels zeigt, dass die Banken nachhaltig ihre Geschäftsmodelle entweder auf Preisführerschaft oder auf Qualitätsführerschaft werden ausrichten müssen. Beispielsweise die beiden größten deutschen Bankengruppen, die Volksbanken/Raiffeisenbanken sowie die Sparkassen, sind aber weder für das Eine noch für das Andere optimal aufgestellt. Denn in der Qualitätsecke braucht es eine hochwertige Beraterbank mit erstklassig ausgebildeten und geschulten Beratern, die ihren Kunden mit der Beratung einen echten Mehrwert bieten, den diese auch gern bezahlen. Das ist schon herausfordernd genug, ist allerdings nur die notwendige, nicht aber die hinreichende Bedingung, um hier als Premium-Anbieter wahrgenommen zu werden. Unerlässlich ist eine starke Marke, die auf Exklusivität und durchweg erstklassige Produkte bauen kann.
Letztere müssen gar nicht zwingend die eigenen sein, sondern können auch von anderen Dienstleistern oder Banken 'eingekauft' werden. Einzig entscheidend muss stets die absolute Top-Qualität sein – und wenn das eigene Produkt hier nicht 'liefern' kann, dann ist es nicht geeignet.
Wer diesen Weg nicht konsequent gehen will oder kann, dem bleibt nur noch der Gang in Richtung Preisführerschaft. Das erfordert neben einem unbedingten Fokus auf schlanke und kosteneffiziente Prozesse mit modernen IT-Lösungen regelmäßig auch den Verzicht auf ein eigenes B2C-Geschäft mit den Endkunden. Vielmehr müssten sich solche Banken als Produktlieferanten für die vorgenannten Beraterbanken verstehen. 'Banking-as-a-Service' (BaaS) und White-Label-Produkte sind hier die Stichworte.
Das allerdings erfordert massive Veränderungen in den Strukturen und Prozessen der Banken und kommt einer Operation am offenen Herzen gleich. Vielfach ist das Know-how dazu gar nicht in ausreichendem Umfang vorhanden. Es wird also entscheidend sein, sich dazu kompetenter Dienstleister von außen zu bedienen, die als Systemanbieter innovative Middleware, APIs und Front-Ends mitbringen und in bestehende Kernbanksysteme integrieren.
Fazit
Die deutsche Bankenbranche steht vor großen Herausforderungen durch veränderte Kundenpräferenzen. Das Schicksal der ehemals großen Warenhauskonzerne sollte den Finanzinstituten als mahnendes Beispiel dienen, wie immens wichtig es ist, sich strategisch zu fokussieren und konsequent auszurichten. Ob als Premium-Beraterbank ohne eigene Produkte oder als effizienter Produktlieferant: Erfolgsentscheidend wird eine optimale technische Integration mittels moderner und ganzheitlicher IT-Systemlösungen sein.
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