Ein durchdachtes und engagiertes Projektmanagement ist entscheidend für das Gelingen eines jeden umfangreichen Software-Projektes. Wird diese Aufgabe vernachlässigt, kann das zu einer massiven Kostenexplosion oder sogar zu einem späten Scheitern führen. Der Einsatz agiler Projektmanagement-Methoden kann das Team jedoch dabei unterstützen, solche Pannen zu verhindern. Eine dieser Methoden ist das User Story Mapping, die es ermöglicht, das Big Picture früh zu erfassen und die Bedürfnisse der unterschiedlichen Stakeholder zu berücksichtigen. In diesem Beitrag erfahren Sie mehr über die Grundprinzipien des User Story Mapping, in welchem Rahmen es bei knowis zum Einsatz kommt und warum wir dessen größtes Potenzial in der Kombination mit weiteren fachlichen Methoden sehen.
Digitalisierungsprojekte sind in vielen Branchen zum Alltag geworden. Die Intention ist in der Regel gut, denn wer den Anschluss an den Markt nicht verpassen möchte, muss schnell handeln. Blinder Aktionismus ist jedoch kontraproduktiv und oftmals hakt es aufgrund unzureichender Planung und starrer Projektabläufe bei der Umsetzung noch gewaltig. Fast jeder hat schon einmal von stockenden oder gar völlig gescheiterten Digitalisierungsprojekten gehört. Ob Lidl, Haribo oder die Bundesagentur für Arbeit – auch namhafte Unternehmen oder große Behörden mit langjähriger Erfahrung haben Lehrgeld bezahlt.
Bei der Projektplanung wird oft vernachlässigt, dass Technologie und Software als Lösungswerkzeuge nur eine Seite der Medaille darstellen. Die eigentliche Herausforderung der digitalen Transformation ist es, die teils sehr komplexen Sachverhalte und Abläufe richtig zu erfassen, zu strukturieren und zu optimieren. Dieses detaillierte Know-how über firmeninterne Prozesse muss jedoch erst einmal konsequent erarbeitet und dann verlustfrei an die Technologieexperten vermittelt werden, um das Optimierungspotenzial bestmöglich auszuschöpfen.
Ein häufiges Problem im Planungsprozess: Man verliert sich in Details und der Blick auf das große Ganze geht verloren. Agiles Projektmanagement und die damit verbundenen Grundsätze, wie zum Beispiel die kontinuierliche Kommunikation mit Fachbereichen und kurze Release-Zyklen können das verhindern. User Story Mapping ist eine Methode, die dieses Denken aufgreift.
Die Grundprinzipien: Der Anwender, viele Geschichten und eine Landkarte
Was ist User Story Mapping? Unter User Story Mapping versteht man eine Visualisierungstechnik, die insbesondere im Bereich der Software-Entwicklung zum Einsatz kommt. Sie dient dazu, ein Team-Verständnis der Nutzerbedürfnisse zu erarbeiten und dann, basierend auf den Nutzererfahrungen (User Experience), gemeinsam ein Gesamtbild der umzusetzenden Prozesse und Anforderungen zu erstellen. Was zunächst noch ein wenig abstrakt klingt, lässt sich anhand dreier Schwerpunkte der Methode besser verständlich machen:
Fokus: Anwender
Ein Produkt ist nur so gut, wie es bei seinen Usern ankommt – das ist der prägende Grundgedanke. Dies gilt im Besonderen für eine Software, die Arbeitsprozesse abbilden und erleichtern soll. Der Nutzer möchte, möglichst rasch und unmittelbar, einen Mehrwert durch die Software erleben. Nur mit dieser Aussicht wird er die Umsetzung der digitalen Transformation von Beginn an überzeugt begleiten und unterstützen. Ein Pfeiler des Konzeptes von User Story Mapping ist daher die konsequente Ausrichtung auf die User Experience. Die klare Definition von User Personas, also fiktiver Archetypen eines typischen Anwenders der Software, bietet die nötige Orientierung.
Stories, Stories, Stories
Abgeleitet aus dem Nutzer-Fokus ergeben sich für einen kompletten Prozessablauf viele einzelne, jeweils aus Anwenderperspektive geschilderte Erzählstränge – die User Stories. Eine solche User Story definiert sich letztlich dadurch, dass man aktiv formulierte, in Alltagssprache gehaltene Teilaufgaben verfasst und die Ziele dieser einzelnen Schritte benennt.
Diese Vorgehensweise lässt sich auf komplexe Geschäftsprozess-Abläufe übertragen – es ergibt sich ein stringenter Ablauf aus dem Blickwinkel des jeweiligen Users. Ein Ziel von User Story Mapping ist es, den Prozess so auf Einzelschritte herunterzubrechen und zu strukturieren, dass man im letzten Schritt die detaillierten User Stories formulieren kann und dadurch die exakten Anforderungen an die Software festlegt.
Sichere Navigation via Story Map
Selbst bei vermeintlich einfachen Prozessabläufen ergibt sich so schnell ein umfangreiches Gesamtbild mit einer Vielzahl an Details und Varianten. Die Visualisierung durch eine Story Map, entweder klassisch mit Post-its an der Wand oder mit Online-Tools wie dem Realtime Board, ist ein sinnvolles Instrument, um den Überblick zu behalten und sicher durch die Abläufe zu navigieren. Das Team erkennt dadurch deutlich schneller, an welchen Stellen Aufgaben zu detailliert aufgelistet sind und kann diese dann zu übergeordneten Blöcken zusammenfassen.
Ablauf eines User-Story-Mapping-Workshops
Die Teilnehmer eines User-Story-Mapping-Workshops, in der Regel Mitglieder des Fachteams und Entwickler, versuchen gemeinsam herauszufinden, was dem Anwender wichtig ist und wie man schnell und zielsicher seine Bedürfnisse erfüllen kann. Häufig differieren die Ansichten über eine gelungene User Experience bei den Teilnehmern sehr stark. Das liegt darin begründet, dass jeder einen anderen Background hat: IT-Experten setzen andere Schwerpunkte als fachlich orientierte Praktiker. Ein gemeinsames Verständnis der optimalen User Experience zu entwickeln ist daher von immenser Bedeutung, um alle Aspekte im Sinne der späteren Anwender umsetzen zu können.
Als Ausgangspunkt dienen die sogenannten User Tasks, also die Aufgaben, die der Benutzer mit Hilfe der Software erledigen möchte. Zunächst werden diese gesammelt (zum Beispiel auf Haftnotiz-Zetteln), chronologisch sortiert und auf der Story Map angeordnet. Zur Orientierungshilfe sollte man den Steckbrief der User Personas gut sichtbar dort anheften, um diese immer vor Augen zu haben und so möglichst eng an den tatsächlichen Nutzeranforderungen zu bleiben. Tasks, die von ähnlichen Rollen zu ähnlichen Zeitpunkten vorgenommen werden, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, werden in sogenannten Activities zusammengefasst. Aus den übergeordneten Activities und den zugehörigen Tasks ergibt sich dann der sogenannte Backbone, also die Struktur der Story Map.
Nachdem sich die Teilnehmer auf dieses Grundgerüst geeinigt und so ein fundamentales, gemeinsames Verständnis der Story Map entwickelt haben, wird im nächsten Schritt die Detailarbeit begonnen. Die einzelnen Tasks werden in Sub-Tasks untergliedert, alternative Tasks oder Ausnahmen in die Map eingearbeitet. Auf Basis dieser Detailstruktur werden dann im weiteren Projektverlauf die einzelnen Stories ausformuliert und Schritt für Schritt in Software übersetzt.
User Story Mapping anhand des Tagesablaufs einer Person
Ein anschaulicher Vergleich aus dem Buch User Story Mapping von Jeff Patton verdeutlicht die Herangehensweise anhand des Tagesablaufs einer Person. Man geht gedanklich Punkt für Punkt die Aufgaben durch und ordnet diese erst einmal in chronologischer Reihenfolge. Es entstehen Tasks wie 'Aufstehen', 'Zähne putzen', 'Duschen', 'Anziehen', 'Frühstücken' und so weiter. Durch die Berücksichtigung aller möglichen Sichtweisen ergeben sich Variationen: manche Personen frühstücken nicht zuhause, manche fahren mit dem Rad zur Arbeit, andere mit dem Auto. Durch gewisse Ereignisse, beispielsweise Krankheit, ändert sich teils der komplette Prozessablauf. Es kommen neue Tasks hinzu ('Arbeitgeber informieren'), andere fallen völlig weg ('Zur Arbeit kommen').
Diese erste Aufgabensammlung wird dann mit Hilfe der Story Map feiner strukturiert, wobei manche Tasks zu Activities zusammengefasst und andere als Sub-Tasks eingeordnet oder weiter untergliedert werden. 'Fertig machen' kann so als Activity für die Tasks 'Körperpflege betreiben' und 'Frühstück machen' dienen, während 'Frühstück machen' beispielsweise weiter unterteilt werden kann in die Sub-Tasks 'Kaffee kochen' und 'Müsli essen'. Die Feinstruktur ist dann die Grundlage zur Formulierung der Stories, welche die Handlungen beschreiben, die zur Erfüllung der Aufgabe nötig sind. Im Beispiel 'Kaffee kochen' könnte die Story lauten: Als frühstückende Person koche ich Kaffee, um wach zu werden.
Praxiserfahrung — User Story Mapping bei der knowis AG
Bei der knowis AG haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich mit der Methodik des User Story Mappings eine hohe Komplexität, wie sie bei der Umsetzung von Banking-Plattform-Lösungen regelmäßig vorkommt, gut handhaben lässt. Der Anspruch ist oftmals, vernetzte Lösungen für verschiedene Nutzergruppen parallel zu entwickeln, die wiederum eine Umsetzung durch mehrere Entwicklungsteams erfordern. Aus diesem Grund muss für eine erfolgreiche Steuerung und Orchestrierung der Plattformentwicklung der Überblick für alle Projektteams jederzeit gewährleistet sein.
In vielen Projekten gehen wir bei der Entwicklung ebenfalls nach agilen Methoden (Scrum) vor, bei denen klar abgegrenzte Prozessschritte in funktionsfähige Softwareelemente umgesetzt werden. User Story Mapping dient dabei als hilfreiche Methodik, um den Überblick zu behalten. Die Planung der einzelnen Entwicklungsschritte lässt sich in der Praxis anhand der Story Map strukturiert durchführen, da auf einen Blick die fachlichen Anforderungen samt Priorisierung und Zusammenhängen erfasst werden können.
Unter Zuhilfenahme von User Personas wie Kundenbetreuer, Entscheidungsträger oder Sicherheiten-Manager lassen sich zudem auch die Anwenderbedürfnisse erarbeiten und berücksichtigen, die nicht durch das Know-how der Workshop-Teilnehmer abgedeckt sind. So muss nicht immer das komplette Umsetzungsteam zur Erhebung der Anforderungen anwesend sein. Die Anforderungen können, durch die Brille der fiktiven Anwender, auch von Analysten und einem Fachteam erhoben werden, die keinen direkten Bezug zu dem entsprechenden Prozess haben.
Tipp aus der täglichen Praxis: Um Frustration bei den Beteiligten zu vermeiden ist es ratsam, sich zunächst genau über das Ziel jedes User-Story-Mapping-Workshops klar zu werden. Der Teilnehmerkreis sollte sich dann immer an dieser Zielsetzung orientieren. Bei der Definition des Wunschprozesses sind möglicherweise andere Personen gefragt als bei Bestandsaufnahme und Visualisierung der bestehenden Prozesse. Wenn Änderungen an maßgeblichen Prozessen vorgenommen werden sollen, sind häufig Vorgaben oder Restriktionen zu beachten, die der Anwender nicht kennt. So besteht die Gefahr, dass ein augenscheinlich perfekter Prozess gestaltet wird, der sich aber in der Realität nicht umsetzen lässt, was zu Frustration bei den Teilnehmern führt. Daher empfiehlt es sich beispielsweise, auch den Fachbereichsleiter oder andere entscheidungsbefugte Personen zu involvieren.
Fazit
Mit Hilfe von User Story Mapping lassen sich die Erwartungen des Kunden zielgerichtet und bereichsübergreifend umsetzen, denn im Vergleich zu anderen agilen Projektmanagement-Methoden zeichnet es sich vor allem durch den konsequenten Fokus auf die User Experience und die Erwartungen der jeweiligen Stakeholder aus. Die Perspektive ist stets zukunftsorientiert, man richtet den Blick nach vorn und hält sich nicht lange mit altbekannten Problemen auf. Die Methode ist für die Workshop-Teilnehmer leicht zu erlernen, zu verstehen und umzusetzen.
Aber auch andere Ansätze wie Event Storming oder Design Thinking geraten zunehmend in den Fokus von Projektverantwortlichen. Quo vadis, User Story Mapping? Aus unserer Sicht ist die Methode ein wichtiger Bestandteil im Projektmanagement von Digitalisierungsprojekten. Dies liegt vor allem in der leichten Ableitbarkeit von Anforderungen für das Product Backlog begründet. Die realistische Planung des Scopes und der Ressourcen wird durch User Story Mapping immens unterstützt. Eingangs geschilderte Projekt-Desaster werden mit dem Einsatz dieser Methode deutlich unwahrscheinlicher.
Dennoch ist User Story Mapping kein Patentrezept zur Lösung aller Probleme bei der Projektarbeit. Wir sehen das größte Potenzial in der Kombination mit weiteren Methoden, die sich auf andere Projekt-Phasen spezialisieren oder eine andere Perspektive in den Vordergrund stellen. So steht etwa Event Storming für uns chronologisch einen Schritt vor User Story Mapping: Hierbei werden zunächst Abläufe identifiziert, bei denen Verbesserungspotenzial besteht, während beim Story Mapping bereits eine Idee für die Optimierung vorhanden ist. Auch der Fokus ist ein anderer: Nicht der Nutzer wird in den Vordergrund gestellt, sondern vorhandene Problemstellungen. Erst durch die geschickte Verknüpfung unterschiedlicher agiler Methoden werden nach unserer Erfahrung alle Aspekte des Projektgeschäftes optimal unterstützt.
Bildquellen: Teaser: Dragan Radojevic - 508188164 - iStock; Infografik: knowis AG