Die Event Storming Methode: Einsatz im Digitalisierungsprojekt

Event Stroming Überblick

Bei der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten ist ein umfassendes und gemeinsames Verständnis der zu transformierenden Prozesse einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren. Wird diese Grundlage nicht geschaffen, ziehen sich Missverständnisse und Folgefehler durch das gesamte Projekt. Methoden wie Event Storming, die genau dazu dienen sollen, dieses Verständnis zu schaffen – und das möglichst einfach und schnell – sind daher in aller Munde. Lesen Sie, was hinter Event Storming steckt, welche Erfahrungen knowis als Unternehmen damit gemacht hat und welche Vorteile sich daraus für das Projektmanagement zur digitalen Transformation der Finanzbranche ergeben.

Einen konkreten Prozessablauf zu verstehen klingt eigentlich nicht nach einer großen Herausforderung. Den Prozess kennt ja schließlich jeder, oder? In der Detailbetrachtung tauchen jedoch selbst bei einfach strukturierten Prozessen viele Fragen auf: Warum wird an dieser Stelle eigentlich eine Mail versandt? Was bewirkt dieser Bearbeitungsschritt? Wer ist dafür konkret zuständig? Nur wenn die Abläufe und Beweggründe wirklich verstanden werden, kann man Ungereimtheiten oder Stolpersteine erkennen, beseitigen und den Prozess auch effektiv digitalisieren.

Besonders knifflig wird es an der Stelle, an der die fachlichen Anforderungen in für die Entwickler umsetzbare Lösungsansätze übersetzt werden sollen. Denn letztlich werden sie die Software so entwickeln, wie sie die Spezifikation verstanden haben. Lost in Translation – Missverständnisse sind dabei vorprogrammiert! Unzufriedene Kunden und Stakeholder, frustrierte Entwickler und eine Menge an verschwendetem Budget und vertaner Zeit sind die Folge. Das Ziel einer schnellen Time-to-Market rückt in weite Ferne.

Die Fragestellung, mit welchen Methoden genau das vermieden und wie von Anfang an ein umfassendes gemeinsames Verständnis erarbeitet werden kann, beschäftigt viele Dienstleister in der IT-Branche. Auch wir als Softwareunternehmen, das täglich mit den komplexen Prozessen großer Finanzinstitute zu tun hat, sind immer auf der Suche nach neuen und besseren Antworten. Event Storming ist eine davon.

Was ist Event Storming?

Event_Stroming-Definition-1Kurz gesagt handelt es sich bei Event Storming um eine kommunikative Methode, bei der in einem Workshop gemeinsam und fachübergreifend das Wissen und Verständnis über ein bestimmtes, abgegrenztes Wissensgebiet (eine Fachdomäne) erschlossen und visualisiert wird. Ausgangspunkt dabei sind sogenannte Domain Events.

Was brauche ich für Event Storming?

Ein Raum, keine Sitzgelegenheiten, Teilnehmer aus unterschiedlichen Fachbereichen, ein breiter Streifen Papier an der Wand sowie eine ganze Menge an bunten Post-Its – ungewohntes Terrain für Workshop-Teilnehmer! Jede Farbe und Größe der Haftnotiz-Zettel hat eine bestimmte Bedeutung. Diese wird vorab in einer Art Legende festgelegt, an der man sich orientieren kann. Das war es aber auch schon mit den Formalitäten. Langatmige Vorträge oder festgelegte Vorgaben sind hier definitiv nicht erwünscht. Das bedeutet, dass jede Meinung gehört und geschätzt wird, aber auch, dass Kommunikation und aktive Teilnahme gefordert werden. Wird das erste Mal ein Workshop nach dieser Methode gestaltet, kann es durchaus zu Anlaufschwierigkeiten kommen. Nicht zuletzt darum ist es äußerst wichtig, der Runde einen Moderator an die Seite zu stellen. Er leitet nicht 'von oben herab', aber lenkt, wenn es notwendig ist und hilft dabei, dass sich die Gruppe nicht schon zu früh in fachlichen Details verzettelt.

Wie funktioniert Event Storming?

Der Ausgangspunkt eines Event Stormings sind die sogenannten Domain Events. Das sind Ereignisse innerhalb der Domäne, die für den Fachexperten relevant sind. Bewegen wir uns zum Beispiel in der Domäne „Budget“, könnten entsprechende Domain Events lauten „Budget erstellt“, „Budget geprüft“ und „Budget abgerechnet“.

Diese Events werden auf gleichfarbige Post-Its geschrieben und chronologisch auf einer Timeline angeordnet. Der Erfinder der Event-Storming-Methode, der italienische Entwickler Alberto Brandolini, verwendet dazu die Farbe Orange. Dabei wird angenommen, dass diese Events bereits stattgefunden haben und hinterfragt, was deren Ursache war – so werden die Events zur Diskussionsgrundlage. Auf unser Beispiel mit dem Domain-Event „Budget abgerechnet“ bezogen könnte eine Fragestellung lauten: „Was ist passiert, damit das Budget abgerechnet werden konnte?“ Die Teilnehmer steuern ihr Wissen darüber bei und beginnen sich untereinander auszutauschen: Der Zündfunke für Know-how-Transfer, Lernprozesse und Aha-Momente.

Anschließend werden mögliche Probleme oder Unklarheiten innerhalb des Prozesses identifiziert und mit andersfarbigen Haftnotiz-Zetteln gekennzeichnet. Das macht eine besondere Eigenschaft des Event Storming deutlich: die Methode ist problemfokussiert. Bei vielen anderen Techniken ist die Herangehensweise umgekehrt, denn sie beginnen damit, die Bedürfnisse der User bzw. Stakeholder aufzunehmen. Dies bringt oftmals den Nachteil mit sich, dass neue Lösungsansätze und Ideen nie ans Tageslicht kommen.

Bei einem Event-Storming-Workshop entsteht so zunächst ein Big Picture der Domäne. Ausgehend davon werden im nächsten Schritt Feinheiten nach der Denkweise des Domain- Driven Design (DDD) ergänzt. Unter DDD versteht man eine Methode zur Modellierung komplexer Software mit Fokus auf fachliche Zusammenhänge. Für diese Visualisierung werden andersfarbige Post-Its verwendet, zum Beispiel für Kategorien wie

  • Eventtrigger (wodurch wird das Event ausgelöst, beispielsweise Zeit oder System),
  • User (wer sind die Akteure) oder
  • Read Models (Daten, die benötigt werden um eine Entscheidung zu treffen).

Das gemeinsam im Event Storming erarbeitete Modell wird so der Ausgangspunkt für Design und Implementierung nach DDD.New call-to-action

Erfahrungen mit Event Storming bei knowis

Bei knowis bilden sich die Mitarbeiter laufend in Methodenkompetenz fort und sind stets auf der Suche nach neuen, vielversprechenden Ansätzen. Unsere Business Analystin Vanessa Vouilléme beschäftigt sich seit einiger Zeit mit Event Storming und hat bereits eigene Workshops durchgeführt. Sie spricht darüber, wie sie mit der Methode in Berührung kam und lässt uns an ihren Eindrücken und Erfahrungen teilhaben.

Vanessa, wie hast du von Event Storming erfahren?
Der Leiter meines Teams, Michael Rehfisch, hat ein Seminar bei dem Erfinder der Methode, Alberto Brandolini, in Italien besucht. Er hat uns danach Unterlagen zur Meinungsbildung und Durchführung zur Verfügung gestellt. Als Team haben wir daraufhin gemeinsam beschlossen, die Methode auszuprobieren.

Warum dachtest du, dass diese Methode besonders gut zu knowis passt?
Mich hat der Bezug der Methode zu unserer Projekt- bzw. Firmenphilosophie gleich angesprochen: die aktive Beteiligung der Stakeholder und die Berücksichtigung ihrer Probleme, der Fokus auf Fachdomänen analog DDD sowie die Parallelen zur agilen Softwareentwicklung (hier nutzen wir bereits Scrum) und dem agilen Projektmanagement. Mit Event Storming kann es gelingen, durch und durch agil zu sein, da dann auch der 'erste Schritt' zur Prozessdarstellung in dieser Art und Weise abgebildet werden kann.

Wie lief der erste Event-Storming-Workshop?
Unser Testballon war ein Workshop zu einem geeigneten internen Projekt bei knowis. Auch hier lag die bereits genannte, typische Sachlage vor: Stakeholder aus verschiedenen Aufgabenbereichen, bereichsübergreifende Fachanforderungen, 'Übersetzungsprobleme' zwischen Fachexperten und Entwicklern. Ich war überrascht, wie gut die Methode mit etwas Vorbereitung funktioniert hat, nachdem wir erste Anlaufschwierigkeiten überwinden konnten und sich beispielsweise der Moderator in seine Rolle eingefunden hatte. Es ist uns gelungen, Risiken, Problemstellungen und Chancen bereits in einem sehr frühen Stadium zu erfassen und es gab jede Menge Aha-Momente bei den Teilnehmern.

Fazit

Überbewertetes Brainstorming oder Zukunft der Domänenmodellierung? Event Storming gewinnt zunehmend an Popularität. Ein Grund dafür sind aktuelle Entwicklungen in der IT, wie beispielsweise der Trend zu Microservices. Diese Architekturmuster zwingen alle Beteiligten dazu, ihre Domänen genau kennenzulernen, da ansonsten eine Kommunikation der modular aufgebauten Dienste mit kleinen, spezifischen Aufgaben untereinander kaum möglich ist. Genau durchdenken und verstehen statt vorschnell entwickeln lautet das Motto. Ob sich die Methode längerfristig durchsetzen wird oder nur ein vorübergehender Hype bleibt, wird sich zeigen.

Eine mögliche Hürde ist unserer Erfahrung nach, dass es immer schwieriger wird, den Workshop zu koordinieren, je mehr Personen daran teilnehmen. Aus diesem Grunde liegt dann ein starker Fokus auf dem Moderator, der in der Verantwortung steht, die Aufmerksamkeit immer wieder zurück auf das Wesentliche zu lenken und abschweifende Diskussionen zu unterbinden.

Die Vorteile, vor allem auch aus Kundensicht, sind jedoch nicht von der Hand zu weisen. Durch den offenen Verbesserungsprozess und die Einbeziehung der richtigen Stakeholder wird ein hoher Grad an Transparenz, Kreativität und Verständnis erreicht. Intuitiv kann sich jeder einbringen, und zwar ohne Formalien beachten zu müssen, wie sie beispielsweise bei Notationen wie BPMN (Business Process Model and Notation) oder UML (Unified Modeling Language) notwendig sind. So wird die effektive und kollaborative Modellierung komplexer Geschäftsprozesse unterstützt. Durch die Nutzung von Papier, Stift und Post-Its werden Prozesse unmittelbar visualisiert und es sind keine Computer oder speziellen Tools für die Durchführung eines Event-Storming-Workshops notwendig.

Unser Fazit: Event Storming ist grundsätzlich eine sinnvolle Methode für agile Projekte, bedarf aber einer gewissen Übung, um sie zielgerichtet einzusetzen.

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Bildquellen: Teaser: Flamingo Images - 687920250 - iStock; Infografik: knowis AG

Geschrieben von Christian Müller

Christian Müller ist Business Analyst bei der knowis AG und begleitet Kunden bei der Planung und Umsetzung von Digitalisierungsprojekten. Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann und Bankfachwirt sammelte er mehrere Jahre praktische Erfahrung in der gewerblichen Kreditbearbeitung und -analyse und absolvierte anschließend ein Bachelorstudium im Bereich Business Administration.

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