Viele Banken in Europa befanden sich bereits vor der Corona-Krise in einem herausfordernden Umfeld. Dem Kostenauftrieb durch regulatorische Anforderungen und dem Modernisierungsdruck auf das Dienstleistungsangebot und die Systemlandschaft steht starker Wettbewerb gegenüber. Mit der Corona-Krise verschärft sich diese Situation, da weitere Faktoren wie Kreditausfälle auf die per se angespannte Profitabilität der Geldhäuser Einfluss nehmen werden. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie werden vor allem das Bestandsmanagement der Banken treffen.
Immer mehr Unternehmen geraten durch die von COVID-19 ausgelöste Krise in finanzielle Schieflage und sind auf Liquiditätsmaßnahmen angewiesen. Für Banken bedeutet das einen stark steigenden administrativen Aufwand. Die Flut von Kreditanträgen ist dabei nur die erste einer ganzen Reihe von Herausforderungen, mit denen sich die Geldhäuser jetzt und in den kommenden Monaten auseinandersetzen müssen. Denn ob Handel, Gastronomie oder Tourismus – viele Unternehmen leiden derzeit unter massiven Verdienstausfällen und werden in den nächsten Wochen und Monaten laufende Kredite nicht mehr vertragskonform bedienen können. Das bedeutet, dass steigende Risikokosten für Kreditausfälle den an sich bereits niedrigen Nettoertrag vieler Banken im Kreditgeschäft in Europa empfindlich belasten werden.
Folglich müssen Kreditinstitute jetzt dementsprechend Rücklagen bilden und kritische Prozesse prüfen. Das wird unter anderem eine Verlagerung ihres Schwerpunkts auf Analyse und Monitoring im Bestandsmanagement voraussetzen. Eine konsequente Anpassung der digitalen Agenda wird entscheidend sein, um Leistungsstörungen bei Krediten bestmöglich zu begegnen.
Kreditrisiken bedrohen die Stabilität des Portfolios
Banken leisten in der aktuellen wirtschaftlichen Notlage weit mehr als Corona-Hilfsanträge zu bearbeiten: Indem sie Maßnahmen zur Verbesserung der Liquidität und zur Vermeidung von Insolvenzszenarien treffen, sichern sie kurzfristig die Existenz zahlreicher Unternehmen. Zu diesen risikorelevanten Maßnahmen gehört die Heilung der Nichteinhaltung wesentlicher vertraglicher Verpflichtungen aus bestehenden Kreditverträgen, beispielsweise durch Aussetzung von Tilgungsleistungen oder Verzicht auf Ausübung von Kündigungsrechten. Doch diese Initiativen führen letztlich auch zu einer zeitlichen Verlagerung der erforderlichen Darlehensrückführungen und zu einer Erhöhung des Verschuldungsgrades bei den in Not geratenen Unternehmen.
Die dadurch steigenden Kreditrisiken erfordern von Finanzinstituten ein sehr viel aktiveres Monitoring des Portfolios und den gezielten Workout notleidender Kredite. Auch Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling warnte in einem Interview mit dem Handelsblatt vor den Kreditrisiken und deren verzögerten Auswirkungen auf die Bankbilanzen. Er rechne mit einem deutlichen Anstieg der Belastungen im dritten und vierten Quartal dieses Jahres.
Ein entscheidender Erfolgsfaktor für Banken wird hinsichtlich dieser Belastung sein, die vorhandenen Ressourcen auf die materiellen Risiken im Portfolio zu allokieren. Den Fokus jetzt konsequent auf kritische Engagements und Prozesse zu setzen ist wichtig, um den Herausforderungen bestmöglich zu begegnen und die Profitabilität des eigenen Geschäftes abzusichern. Dabei sind für Finanzinstitute jetzt und in nächster Zeit vor allem drei Themenbereiche von besonderem Interesse:
- Ergebnisbeitrag aus dem Kreditgeschäft
- Transparenz und Steuerung
- Ressourcenbindung und Ressourcenallokation
Effekte auf den Ergebnisbeitrag: Wie Corona die Kreditmarge der Banken bedroht
Bereits vor der Krise lag der bereinigte Nettoertrag vieler Finanzinstitute an einigen Stellen unterhalb der Eigenkapitalkosten. Wie die Unternehmensberatung Bain & Company festgestellt hat, konnten die deutschen Banken in der ersten Jahreshälfte 2019 erstmals seit der Finanzkrise nicht ihre Eigenkapitalkosten von aktuell 7 bis 10 Prozent im Corporate Banking erwirtschaften. Der Bain-Corporate-Banking-Index zeigt an, dass die Eigenkapitalrendite auf 7 Prozent sank. Dieser Abwärtstrend sei schon seit fünf Jahren spürbar; die Erträge blieben anhaltend niedrig und die Profitabilität falle, so das ernüchternde Fazit der Experten.
Viele Finanzinstitute forcieren ungewollt den Preiswettbewerb, indem sie im vermeintlich vielversprechenden Firmengeschäft am Markt weiter expandieren. Sie versuchen der geringen Profitabilität mit einer Ausweitung der Kreditvolumina gegenzusteuern, um sich als Hausbank zum Wallet-Ausbau zu positionieren und gezieltes Cross-Selling betreiben zu können. Die Folge: Das Kreditvolumen befindet sich auf einem Rekordhoch, die Kreditmarge selbst ist allerdings im statistischen Mittel gesunken.
Hinzu kommen weitere gravierende Effekte auf den Ergebnisbetrag im Kreditgeschäft, die infolge der Corona-Krise verstärkt Einfluss auf die Kreditmarge nehmen werden, wie: Risiken durch Kreditausfälle, Mehraufwand für Analyse und Monitoring, steigende Kapitalkosten, nicht-risikoadäquates Pricing, Wegfall des Cross-Sell oder steigender Liquiditätsbedarf. Wie diese Effekte im Detail aussehen und wie diesen begegnet werden kann, erfahren Sie in unserem Expertendokument 'Banken nach Corona: Implikationen im Bestandsmanagement'.
Regulatorik und Stakeholder: Steigende Anforderungen an Transparenz und Steuerung
Im Zuge der COVID-19-Krise wurden die Banken zunächst in der regulatorischen Agenda entlastet. Es erfolgten Lockerungen einiger regulatorischer Anforderungen und Kapitalvorschriften wurden zeitweise ausgesetzt, um die Finanzinstitute zu entlasten und die Kreditvergabe am Laufen zu halten. So wurde beispielsweise die bereits beschlossene Umsetzung von Basel IV durch die Bankenaufseher um ein Jahr verschoben; sie tritt nun nicht mehr wie ursprünglich geplant am 1. Januar 2022, sondern erst zum 1. Januar 2023 in Kraft.
Zudem gibt es Diskussionen, die Banken als systemrelevante Einheiten nachhaltig zu unterstützen. So fordert Hans-Walter Peters, Präsident des Bundesverbandes der deutschen Banken (BdB), angesichts der Krise von der Europäischen Zentralbank (EZB) zusätzliche Hilfe für Banken. „Es ist dringend geboten, angesichts der wirtschaftlichen Lage in Europa die Minuszinsen sofort auszusetzen“, betont Peters in einem Interview mit dem Handelsblatt. Durch das Aussetzen der Negativzinsen soll es den Banken möglich sein, ihr Eigenkapital zu stärken mit dem Ziel, ihre Kunden weiterhin mit Krediten versorgen zu können. Des Weiteren verlangt Peters das zeitweise Aussetzen der Bankenabgabe. Diese Abgabe, die im Notfall Stabilisierungsmaßnahmen europäischer Banken finanziert, müssen Institute seit 2011 in Folge der Finanzkrise zahlen. “Die Banken brauchen im Moment ihre ganze finanzielle Kraft, um das gesamte Wirtschaftssystem zu stützen”, begründet Peters seine Forderung.
Mittel- und langfristig wird es allerdings gleichermaßen Interesse und Verpflichtung von Aufsichtsbehörden sein, Transparenz in die Risikolagen und etwaige stille Lasten bei Banken zu bringen. Ein erhöhtes Informationsbedürfnis könnte mit neuen Regulierungsaspekten einhergehen. In jedem Fall aber werden Stresstests und Loan-Reviews auch außerhalb der Jahresabschlussprüfung unerlässlich sein. Dies bedeutet besonders in den Analyseeinheiten einen Mehraufwand im Hinblick auf die Aggregation von Informationen beziehungsweise das Erfordernis, Informationen ad-hoc bereitstellen zu können. In der fachlichen Realität ist dies häufig mit manuellen Prozessen und einer analogen bereichsübergreifenden Abstimmung verbunden – trotz Fortschritten durch digitale und regulatorische Initiativen.
Auch bei den verschiedenen Stakeholdern wird das Informationsbedürfnis wachsen. Für das Reporting gilt es Zahlen und Prognosen vorzubereiten und Anfragen von Kontrollgremien, dem Management und der Aufsicht zu beantworten. Auch dies ist Zeitaufwand in der Marktfolge, der für Analysten zur operativen Tätigkeit im Bestandsmanagement hinzukommt.
Markt und Marktfolge: wachsender Analysebedarf führt zu Ressourcenengpässen
Wie bereits erörtert, werden zusätzliche oder intensivere Tätigkeiten die Belastung des Experten zukünftig deutlich erhöhen. Durch die Marktverwerfungen und entsprechende Effekte auf die Kreditnehmer werden eine Vielzahl von Maßnahmen stärker zu akzentuieren sein, die in den vergangenen Jahren über Prozesserleichterungen oder Leitplanken flexibilisiert wurden. Hierzu zählen unter anderem geeignete Schritte der Risikofrüherkennung und die intensivere Betreuung von Engagements durch Markt und Marktfolge in unterschiedlicher Granularität. Auf Analysten kommt daher ein deutlicher Mehraufwand im Bestandsmanagement zu.
Folgenden Bereiche werden aufgrund der aktuellen Krise besonders an Bedeutung gewinnen:
- Risikorelevante Parameter prüfen:
Risikorelevante Verstöße gegen Verpflichtungen aus den Kreditverträgen müssen bewertet und bei Risikoerhöhung genehmigt werden. - Prüfung der Rückzahlungsfähigkeit:
Zu der jetzt in der Krise bereitgestellten Liquidität gehören Kreditmittel, die (bei einer aktuell sehr unklaren Umsatzentwicklung) angedient werden müssen. Analysten müssen unter hohem Zeitdruck und bei aktuell instabilen Rückzahlungsprognosen kritisch prüfen, ob die Darlehensmittel überhaupt zurückgeführt werden können und die Verschuldungszunahme bei Unternehmen sehr genau beobachten. - Berücksichtigung der Korrelationen zwischen Asset-Klassen:
Die Krise trifft nicht nur die klassische Firmenkundenfinanzierung, sondern – gegebenenfalls zeitlich etwas nachgelagert – auch Spezialfinanzierungen wie etwa von Flugzeugen, Schiffen und (gewerblichen) Immobilien. Universalbanken sind gewöhnlich in vielen oder auch allen dieser Asset-Klassen vertreten. Da solche Finanzierungen üblicherweise non-recourse – also regresslos – strukturiert sind, entstehen große Herausforderungen auf der Analyseseite im Loan-Workout oder der möglichen Ausplatzierung von Engagements.
All diese Aufgaben erfordern eine systemische Unterstützung von Markt- und Marktfolge in kritischen und risikorelevanten Entscheidungen innerhalb der Finanzinstitute. So sollten beispielsweise Standardprozesse automatisiert und somit beschleunigt werden, damit Experten in Markt und Analyse von Routinetätigkeiten freigestellt sind.
Fazit: Neue Schwerpunkte auf die digitale Agenda setzen
Nicht nur die durch die realwirtschaftlichen Effekte von COVID-19 notwendige Bereitstellung von Liquidität und eine entsprechende Antragsbeschleunigung sind aktuell zentrale Themen, sondern auch die Vorbereitung auf die 'Welle' der kreditmateriellen Implikationen im Bestandsmanagement. Alle bisher genannten Bereiche werden im Zuge der Corona-Krise eine Intensivierung der Analyse- und Genehmigungserfordernisse auslösen. Das bedeutet einen Mehraufwand an Aufgaben, insbesondere für die Analysten.
Wichtig wird es sein, den Experten in seiner Arbeit systemisch zu unterstützen, damit sich dieser den Aufgaben mit hoher Kritikalität und Risikorelevanz widmen kann. Um das Risiko im Portfolio transparent zu halten und die Fokussierung auf kritische Engagements sicherzustellen, ist also eine nachhaltige Entlastung der Experten wichtig. Durch die Automatisierung unkritischer Vorgänge fallen Routinetätigkeiten weg und Experten können sich auf die wesentlichen Tätigkeiten konzentrieren. Zusätzlich trägt die Erhöhung der Automation entscheidend zur Erzielung von Kosteneffekten im Overhead bei.
Banken müssen daher ihre digitale Agenda überdenken. Bisherige Digitalisierungsinitiativen, welche sehr stark auf eine Optimierung der Customer Experience zugeschnitten sind, sollten auch im Hinblick auf die User Experience im Verständnis des internen Experten geprüft und gegebenenfalls neu justiert werden.
Unser ausführliches Whitepaper zu den Implikationen im Bestandsmanagement steht jetzt als PDF zum Download bereit. Hier erfahren Sie im Detail, welche Einflussfaktoren Finanzinstitute im Blick behalten sollten, um eine Erosion der Nettokreditmarge in der anstehenden wirtschaftlichen Krise zu vermeiden.
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